Çoki fehlt!
Wer hat das Maskottchen und Sprecher der erfolgreichsten Fremdsprachen-App der Welt ermordet? War es der Geschäftsführer, ein Angestellter, ein Investor, ein Liebhaber oder einer der animierten Instruktionsfiguren des Unternehmens – liebenswerte Zeichentrickcharaktere, die mit der Kraft künstlicher Intelligenz ausgestattet sind? Was auf einer Duolingo-Fanseite als Kettenroman-Einleitung nach dem Motto „Es war eine dunkle und stürmische Nacht“ anfing, verwandelte sich in einen vollständigen Roman und eine Parodie des preisgekrönten Autors von Cooperative Lives. Die Geschichte erschien ursprünglich in dreizehn fesselnden Teilen online, ist aber jetzt erweitert worden und im Buchformat in Deutsch und Englisch erhältlich als ultimative Parodie und Krimi für jeden, der jemals eine Sprache mit einer Reihe digitaler Zeichentrickfiguren und einem anthropomorphen Maskottchen gelernt hat.
Informationen zur Veröffentlichung
- Titel: Bärenmord - Eine Sprach-App-Parodie und Krimi
- Autor: Patrick Finegan
- Redaktion: Ulrike Gemein, Regina Goetz
- Verlag: Two Skates Publishing LLC
- Veröffentlichung: 1. September 2024
- Format: Hardcover, Taschenbuch und eBook
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13/ ASIN:
- 978-1-7339025-7-1 | Hardcover - 5,5 x 8,5 Zoll - 240 Seiten| €29,00
- 978-1-7339025-9-5 | Taschenbuch - 5x8 Zoll - 258 Seiten | €12,00
- B0D7RN1VTK | Kindle e-book | €3,75
Vorschau
KAPITEL EINS
Frühherbst 2009
Teller schloss den Kühlschrank und ließ sich auf die Couch fallen. Er nahm den ersten Schluck, bevor er die Fernbedienung zwischen den Kissen fand. „The beer that made Mel Famie walk us.“ Der Schlusspunkt brachte ihn selbst nach so vielen Jahren zum Lachen. Irgendwann in den siebziger Jahren dehnte sein Linguistik Professor (der erste) im Unterricht zehn laaange Minuten, weil er einfach keine fünfzig Vorlesungsminuten vorbereitet hatte. Fünfzig Jahre später konnte Teller es definitiv nachvollziehen.
Die gekürzte Version des Witzes ging so: Mel Famie war der gefürchtetste Pitcher seiner Zeit – mit 3.500 Strikeouts, einem schlagkräftiger Cutter und einem Lebenszeit-ERA (Earned-Run-Durchschnitt) von 2,26. Aber wie viele gefürchtete Spieler – Mickey Mantle, Babe Ruth, Hank Wilson – hatte Mel Famie ein großes Alkoholproblem und war dafür bekannt, auf der Teambank zu trinken. Die reguläre Saison ging zu Ende und seine Rivalen, die bescheidenen Brewers, waren nur noch zwei Siege von der Playoffs entfernt. Ein dreitägiges Heimspiel gegen Mel Famie und die besuchenden Pirates würde über den Titel der National-Liga entscheiden.
Die Pirates spielten extrem gut, aber die Brewers gewannen dennoch die ersten beiden Spiele. Alles drehte sich um das letzte Spiel der regulären Saison. Es erwies sich als sehr spannend: Punktestand unentschieden, letzte Hälfte des neunten Innings. Mel Famie kehrte zum Pitcher’s Mound zurück und fing mit einem starken Fastball mit mehr als 96 Meilen pro Stunde an. Drei Würfe später kollidierten der rechte Feldspieler und der erste Baseman, als sie einem routinemäßigen Flugball nachjagten. Fünf Würfe weiter pfuschte Famie eine Popsingle. So gefürchtet er als Linker auch war, fürchtete niemand seinen rechten Arm. Die nächsten beiden Schläger zogen sich leise zurück. Der Shortstop foulte sechs Würfe lang und lieferte dann einen sauberen Drive nach links ab. Das Publikum in der Heimatstadt drehte durch. Die Sender konnten nicht hören, wie sie den Ersatzschlagmann ankündigten – ein solider Bunter, aber lebenslange 0,198 gegen Famie. Die Quotenmacher wetteten überwiegend auf zusätzliche Innings.
Irgendwie brach Mel zusammen. Sein erster Cutter verfehlte völlig sein Ziel. Seine nächsten drei Versuche waren noch schlechter. Der sagenhafte Werfer wischte sich mit dem behandschuhten Arm über die Stirn, stapfte zum Dugout, nahm das zwölfte und letzte Schlitz, das ihm die Platzwarte zugesteckt hatten, und ließ sich resigniert auf die Bank fallen. Ein jubelnder Brewer-Batboy bemerkte Mel, zeigte auf die Dosen und rief: „Schlitz, the beer that made Milwaukee famous, and the beer that made Mel Famie walk us.“.
„Wahre Geschichte“, erklärte sein Professor und verließ dann das Klassenzimmer. Die meisten Studenten glaubten ihm.
Sechs Wochen nach seiner Anstellung in einem umgebauten Lagerhaus in der Innenstadt von Albany konnte Teller immer noch keine Witze mit seinen Kollegen teilen. Die höfliche Hälfte verwirrte grundlegende Baseballkonzepte so sehr, dass es keinen Sinn machte, weiterzumachen. Die unhöfliche Hälfte verschwand innerhalb von fünf Sekunden, der durchschnittlichen Aufmerksamkeitsspanne eines High-Tech-Arbeiters. Meistens mieden die Mitarbeiter den „Professor“. Ihre Mission bestand schließlich darin, echte Pädagogen überflüssig zu machen.
Ein Zuschuss der National Science Foundation und Sami d’Heins Auszahlung aus seinem vorherigen Projekt reichten aus, um einen Prototypen ihrer Vision zu erstellen. Tellers Aufgabe bestand darin, sicherzustellen, dass der Online-Kurs „Englisch als Zweitsprache“ strengen akademischen Standards entsprach. Er hatte weder mit Zusatzkursen in 25 weiteren Sprachen noch mit Kursen zwischen diesen Sprachen gerechnet – wie zum Beispiel zwischen Samis Muttersprache Türkisch und der Muttersprache Deutsch seines Mitbegründers. Samis Partner war ein Doktorand in Samis IT-Abteilung beim Rensselaer Polytechnic Institut. Sami erhielt eine feste Anstellung, weil er an der Erfindung von PASSWIZ beteiligt war. Der bloße Gedanke verursachte dem „Professor“ Übelkeit.
Passender französischer Nachname, überlegte Teller: Hein. Frei übersetzt bedeutete Hein „Häh?“ Sami d’Hein führte seinen Nachnamen auf die französische Besetzung der anatolischen Hafenstadt Mersin während des Französisch-Türkischen Krieges zurück. Die Truppen zogen ab, bevor Samis Großvater geboren wurde, aber „Hein?“ war die Antwort des Leutnants, als die Provost-Gendarmerie seine Papiere verlangte und ihn unsanft zurück ins Lager begleitete. Der Leutnant bevorzugte beim Umwerben eine vollständige Uniform zu tragen, was Samis Urgroßmutter (und die anderen Geliebten des Leutnants) so sehr beeindruckte, dass sie dem Nachnamen ihres zukünftigen Sohnes ein „de“ voranstellte, um seine aristokratische Abstammung zu bezeugen, wie zum Beispiel Ludwig von Ahnungslos oder Esteban de Contabilidad.
Um fair zu sein, hatte Sami zumindest einen Namen. Tellers Arbeitgeber hatte keinen. Seine Gehaltsschecks waren von der Platzhalter Corporation unterzeichnet und finanziell legitim, aber der Name war auf Englisch ein Insider-Witz – denn er bedeutet ja „Absichtlich leer gelassen“. Sami, Anton und das Team arbeiteten monatelang an Inhalten und Benutzeroberfläche, hatten aber keinen Pfennig (Teller übertrieb) für das Branding ausgegeben.
Teller klickte durch die Programme – der übliche Nachmittagsmüll. Er blätterte langsamer bei McHale’s Navy und The Munsters, trank aber sein Bier bei Hanna-Barbera aus. Huckleberry Hound trug einen Raumfahrtanzug, summte „Oh, My Darling“, zwinkerte dem Publikum zu und verstummte dann. Teller holte ein zweites Schlitz aus dem Kühlschrank. Zwei blieben übrig. Er erinnerte sich an die Mahnung der Marke: „When you’re out of Schlitz, you’re out of beer.“ Er nahm sich vor, mehr zu kaufen.
Die Werbespots endeten, und eine Hand reichte hinter Förster Smith, um sein Mittagessen zu stehlen – zwei Scheiben Weißbrot, zwischen denen sich vermutlich etwas Leckeres verbarg, und eine Thermoskanne mit Flüssigkeit – leider kein Schlitz. Zwei lebhafte Bären huschten aufrecht davon, so schnell wie ihre Hinterbeine sie tragen konnten – die Oberkörper waren unheimlich ruhig.
Teller blieb nicht für den anschließenden Dialog. Er sprang von der Couch auf, holte das Langenscheidt-Englisch-Türkisch-Wörterbuch aus dem Regal und fing an, die Ms durchzublättern. Da war es, genau wie erwartet. Çok bedeutete mehrfach, Dilli bedeutete sprachig und Çoki reimte sich perfekt auf Yogi. Teller gurgelte mit Mundwasser, schnappte sich seine Jacke und eine Handvoll Buntstifte und zwängte sich dann in seinen alternden Kleinwagen. Er raste achtzig Minuten auf der Interstate Richtung Süden. Sie war immer noch da, direkt an der 87, mitten im gottverlassenen Nirgendwo: die Jellystone Park Campsite! Er erinnerte sich daran, als er in Kingston nach einer Wohnung Ausschau hielt und dachte, er könnte irgendwie nach Albany pendeln.
Anfängerfehler, gab er zu. Ein Anfängerfehler mit sechzig.
Diesmal gab es keinen Fehler. Teller suchte die Snackbar auf, bestellte einen Korb mit Corn Dogs und Hühnchenfilets und „Da!“ am Boden seines Korbes befanden sich Bilder von Yogi Bear und seinem amorphen Zwergbär-Kumpel Boo Boo – zwei renommierten Zeichentrickfiguren der sechziger Jahre. Teller eilte zu einem Tisch, holte die Buntstifte aus seinem Mantel und machte sich an die Arbeit.
Am nächsten Morgen präsentierte er Sami und Anton sein Meisterwerk. Zum ersten Mal seit seiner Erinnerung waren Anton und Sami einer Meinung – nicht nur untereinander, sondern auch mit ihm. Sie lächelten sogar. Von nun an würde die Firma Çok Dilli Corporation heißen, und ihr Maskottchen und ihre Online-Sprecherin wäre Çok Dilli Bär, oder kurz Çoki – eine formlose rosafarbene Zwergbärin mit einer grünen Federboa und einem grünen Kopftuch (oder Hidschab) – ganz bewusst mehrdeutig. Ihre bevorzugten Pronomen waren sie und ihr.
Die Firma hatte vor dem Start eine Warte-liste von 300.000, die Betatester werden wollten, und weitere 500.000, sobald sie online am Laufen war. Die Bärin und ihre Kurse waren ein Hit. Jeder wollte ein Anrecht auf der Çok Dilli-Erzader anmelden.